Silberblut und Goldmedaille
| von Simon | (Kommentare: 0)
Simon hat Alex Marshalls Blut aus Silber gelesen
Der Redakteur unserer Webseite hat mich um einen Text zu Alex Marshalls Blut aus Silber gebeten. Bestimmte Vorgaben hat er an den Text nicht gestellt, sondern er meinte nur: „es reicht auch ein heftiger Ausdruck von Begeisterung“.Und ganz ehrlich: Ich wüsste nicht, was ich sonst über dieses fantastische, herbe, derbe, quirrlige, überraschende und spannende Buch schreiben sollte als einen heftigen Ausdruck von Begeisterung!
Der Klappentext dieses ersten Bandes einer Trilogie – der zweite Band ist im Original bereits für nächstes Frühjahr angekündigt – macht einen schon einmal auf epische grim-and-gritty Fantasy nach Art von Martin, Abercrombie & Co. gefasst. Und das bekommt man auch. Keine Elfen, Zwerge, Orks und Zauberer an jeder Straßenecke, dafür beinhartes Söldnerleben, Intrigen, Verrat, Herrscher, Völker und Reiche, die mehr oder weniger erfolgreich übereinander herfallen.
Im Fokus der Geschichte steht Zosia, eine rüstige, aber schon ergraute Ex-Kriegerin, die sich von ihrem Leben als Söldnerfeldherrin, Rebellenführerin und Kaiserin zurückgezogen hat und unerkannt in einem Bergdorf lebt. Bis dieses von Soldaten des Reichs heimgesucht wird. Alle Einwohner werden ohne Vorwarnung massakriert, nur Zosia kann entkommen – und schwört Rache. Klar. Deshalb versucht sie, ihre fünf alten Mitstreiterin, ihre „Generäle“, um sich zu scharen.
Ach, das klingt natürlich erst mal wie zehnmal aufgewärmter entkoffeinierter Eiskaffee. Aber schon nach wenigen Seiten Lektüre stellt man verblüfft fest, dass Alex Marshall kein Klischee heilig ist und dass seine Figuren viel zu komplex sind, um aus ihnen vorhersehbaren Fantasy-Epen-Mumpf zu stricken. Man schlackert ganz schön mit den Augen, wenn man erfährt, weshalb Zosia zum Beispiel ihr Vertrautentier, einen treuen alten Hund, hasst und mit Füßen tritt. Wenn man nach und nach die „Generäle“ kennenlernt, die sich so gar nicht als die verschworene Freundesclique entpuppen. Sondern in Verrat und Meuchelmord ihr neues Hobby gefunden haben oder sich als Touristenführer ihre Drogensucht finanzieren.
Alex Marshall lässt kaum einen Stein auf dem anderen, ob hehre Fantasytropen oder Geschlechterrollenklischees, ständig schert die Geschichte aus den Fahrwassern der Lesegewohnheiten aus, ein überraschender Twist jagt den nächsten. Dabei überspannt Marshall den Bogen eigentlich nicht, sondern bleibt trotz einer gelegentlichen Flapsigkeit immer dicht an seinen Figuren und im Rahmen dessen, was in deren Entwicklung plausibel ist. Das ist im Grunde die große Stärke dieses Romans, dass die ganzen Konventionsbrüche nicht aus der Lust an der Dekonstruktion entstehen, sondern einfach nur Konsequenzen aus stets nachvollziehbarem Charalterhandeln, -denken und –fühlen sind.
Ein wirklich großartiger Lesespaß, wie ich ihn schon lange nicht mehr in diesem Genre erlebt habe, über den ich noch viel schwärmen und erzählen könnte, aber ich kann und soll es ja bei einem heftigen Ausdruck meiner noch viel heftigeren Begeisterung belassen: Goldmedaille für Blut aus Silber!
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