Slow, Low Fantasy: Sofia Samatar
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Sofia Samatars ersten Roman, A Stranger in Olondria, hat Jasper ja bereits bei uns vorgestellt. Als mir selbst nun mal wieder nach einem Roman war, der einen eher leise beglückt als donnernd überwältigt, bin ich der Empfehlung gefolgt und habe das Buch auch endlich mal gelesen – und gleich hintendran das „Sidequel“ The Winged Histories ...
Da Jasper euch A Stranger in Olondria bereits angepriesen hat, beschränke ich mich hier auf die Kurzzusammenfassung in Stichworten: Junger Mann wird in fremd-vertrauter Phantastikwelt, auf der es weder von Drachen noch von Zauberern wimmelt und auf der trotzdem immer wieder eine Andeutung von Magie auf leisen Sohlen um die Ecke davonschleicht, kaum meint man sie gesehen zu haben, unwillentlich zum Katalysator eines politischen Umsturzes. Dazwischen immer wieder Geschichten in der Geschichte, virtuose Wechsel des Erzähltonfalls, und gegen Ende tritt ein tragischer und glaubwürdiger Fall von gesellschaftlicher Ächtung ans Licht, bei dem man geschätzen Protagonisten dabei zusehen muss, wie sie himmelschreiende Ungerechtigkeiten gegen andere und sich selbst begehen. Und trotzdem ist das ganze kein hochkomplexer harter Literatur-Tobak, sondern eine gut erzählte Abenteuergeschichte mit dem richtigen emotionalen Rumms, der dafür sorgt, dass das Buch etwas länger in Kopf und Bauch arbeitet.
Gut war das, also habe ich gleich The Winged Histories nachgeschoben, das erst mal ein wenig verwirrender war als der doch recht klar auf Jevick und sein Erleben fokussierte Vorgänger. The Winged Histories wird aus vier Figurenperspektiven erzählt, und all diese Hauptfiguren sind unmittelbar von den politischen Umbrüchen, die in A Stranger in Olondria nur angerissen werden, betroffen. Der Roman wird in vier aufeinanderfolgenden Novellen erzählt, und man muss schon ziemlich die Augen offenhalten, um alle Verbindungslinien mitzubekommen – dummerweise habe ich das Buch nicht im Urlaub und mit freiem Kopf gelesen, deshalb dürfte mit so einiges durch die Schläfenlappen gegangen sein. Anstatt also eine komplexe und vielleicht an einigen Punkten nicht ganz verstandene Handlung um die persönlichen und politischen Gründen für einen Aufstand, der Olondria erschüttert, wiederzugeben, konzentriere ich mich auch hier die die Schlaglichter.
Da wären: Eine Eröffnung um eine junge Frau aus einem Adelshaus, die rebelliert, indem sie sich ein Schwert schnappt und zur Armee geht (unterm arm das Buch The Swordmaiden's Codex); und gleich wird einem dieses wohlbekannte Motiv der jungen, mutigen Heldin vom Kopf auf die Füße gestellt, es geht um militärischen Alltag und punktuelle Kriegsschrecken und eigentlich darum, dass es vielleicht doch eher zweitrangig ist, ob ein Mädchen jetzt ein Schwert in die Hand nimmt oder nicht, solange die Frage nach dem „wofür“ diffus ist – und das die Probleme erst richtig anfangen, wenn sie geklärt wird ... jedenfalls bekommt man im weiteren Buch nicht die Abenteuer der jungen Ritterin, die sich bewiesen hat und immer weiter beweist, sondern stattdessen leise Ernüchterung und schon bald einen Perspektivenwechsel.
Nun tritt eine wichtige Nebenfigur aus A Stranger in Olondria in den Vordergrund, und einmal mehr geht es um Familie (ein Hauptthema beider Bücher übrigens) und darum, was sich die Leute in deren Zusammenhang so alles selbst antun. Meine Lieblingsstück aus The Winged Histories, eine dichte Mischung aus Vater-Tochter-Familiendrama und großer Fantasy-Hauptstadtpolitik, beobachtet durch ein Zellenfenster.
Novelle Nummer 3 hat mich zugegebenermaßen etwas kalt gelassen – eine monologische Liebes- oder auch Abschiedserklärung, in der es um kulturelle Identität, Rebellion, die Abwägung zwischen persönlichem und politischem und die Wahrnehmung des Anderen als Exoten statt als Person geht ... in der Theorie sehr spannend, war mir dann aber doch fast schon zu essayistisch, der Bruch gegenüber dem Rest zu stark.
Dafür dann aber wieder die letzte Novelle, die die politischen Wirren noch einmal in ein neues Licht rückt, sie eng mit einer bis dahin nur angedeuteten Mythologie verknüpft (wodurch diese Low-Fantasy-Welt mit einem Mal doch ganz schön magisch oder mindestens ein gutes Stück gruseliger und wunderbarer wird) und sich einmal mehr ungeheuer gut in Figuren einfühlt, die ganz schön gef**** worden sind vom Leben.
Am Ende dachte ich: Wenn A Stranger in Olondria Sofia Samatars Der Hobbit ist (klarer Handlungsfaden, Andeutungen großer Ereignisse, mit denen die Hauptfigur nur am Rande zu schaffen hat), dann ist The Winged Histories ihr Silmarillion (tiefer Einstieg in die Mythologie der Welt, Bruchstücke, die sich nur bedingt zusammenfügen, beim Lesen Momente des ehrfürchtigen Staunens und der Verständnislosigkeit). Zwei herausragende Bücher, für das zweite sollte man aber schon ein bis zwei Zimmer im Kopf freiräumen.
Ach ja, was ich an den beiden Büchern noch ungeheuer sympathisch finde: So, wie ich sie verstehe, beharren sie bei allen Aushandlungen zwischen Politik, Religion und kultureller Identität doch vor allem auf der einen großen Aussage, dass alle das Recht haben, irgendjemand ganz anderes zu sein, als es von ihnen erwartet wird. Vielleicht sind die Bücher aber auch einfach so klug und gut und vielschichtig, dass man versucht ist, sich eine Lieblingsbotschaft hineinzustricken, um die Gedanken im Anschluss wieder etwas zur Ruhe zu bringen.
Sofia Samatar, A Stranger in Olondira, Small Beer Press, Paperback, Euro 16,00
Sofia Samatar, The Winged Histories, Small Beer Press, Hardcover, Euro 24,00
(Beide in englischer Sprache.)
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